von Dr. Christoph Kivelitz, Kunsthistoriker

Andreas Ren setzt sich in seiner künstlerischen Arbeit mit Räumen auseinander, die durch öffentliche Funktionen bestimmt sind. Im fotografischen Zyklus „reibungslos“ zeigt er etwa architektonische Situationen, die „reibungslos“ als Durchgangs- oder Warteräume zu funktionieren haben. Ohne Hinweise auf den konkreten Ort oder die Zeit der Aufnahmen verharren sie in einem Zustand des Nirgendwo und Überall gleichermaßen. 

Die Anatomie der Ruhr-Universität Bochum, in der die Aufnahmen zum Zyklus „Anatomie. Transformationen eines Subjekts“ entstanden sind, können hingegen kaum als „öffentliche Räume“ wahrgenommen werden. Andreas Ren nähert sich dem Ort in einer akribischen Spurensuche an.

Jeweils in nüchternen Schwarz-Weiß-Aufnahmen charakterisiert er den weiß gekachelten industriell anmutenden Raum. Er zeigt die Dinge, die auf das Geschehen in diesen Räumen schließen lassen: aufgehängte Kittel, eine Pumpe zum Absaugen von Blut, Wannen, Schneide- und Sägegeräte. Große metallische, schrein- oder sargartige Behältnisse, mit Rohren an ein Kühlsystem angeschlossen, stellen den eigentlichen Sinn dieses Ortes dar: das Aufbewahren von Leichnamen in einem Stadium zwischen Tod und Beerdigung, die Verzögerung des Verwesungsprozesses zu Zwecken der wissenschaftlichen Betrachtung. Im Verlauf des fotografischen Zyklus’ öffnen sich diese metallischen Schreine, die darin aufgebahrten Körper werden sichtbar, zunächst in verschwommener Distanz, dann klarer konturiert, wie ruhend aufgebahrt, friedlich, in ihrer Feingliedrigkeit und in den feinen Nuancen von Licht und Schatten der kühl reflektierenden Umgebung kontrastierend gegenübergestellt.

Der Betrachter fühlt sich in eine fast kontemplative Distanz versetzt. Ein an das Ohr gehefteter Zettel, eine einfache Nummer bewirken dann einen folgenschweren Wechsel der Perspektive: Das Individuum transformiert sich zum anonymen Objekt, das hier eingelagert wurde und bearbeitet wird. Der kahl rasierte Schädel, aufgesägt, bloßgelegte Muskulatur, ein durch eine Halterung hochgehaltener, gehäuteter Arm reduzieren den Leichnam zum Gegenstand, der uns nicht über seine Vergangenheit als Mensch, vielmehr über unsere leibliche Beschaffenheit Aufschluss gibt.

Doch selbst der sezierte Körper führt uns auf das Mysterium zurück. Es verblasst der Ekel gegenüber dem aufgerissenen und bloß gelegten Innenbild des Körpers, denn gerade hierdurch offenbart sich uns die komplexe Struktur der Sehnen und Muskeln, die Anmut einer zerbrechlichen, behutsam gestützten Hand. Das nüchterne Interieur, die an die Tafeln geschriebenen Begriffe und die Gerätschaften, die uns Schmerz assoziieren lassen, und die hier aufgehobenen Leichname verharren in einem Widerstreit, der sich im Verlauf des Zyklus’ kaum aufheben lässt. Das im anatomischen Studium zum Objekt transformierte Subjekt stellt in einem Zirkelschluss den Objektivierungsanspruch der Wissenschaft in Frage und wirft uns auf die Einzigartigkeit und Unbegreifbarkeit des Individuums zurück.

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