von Iris Heckmann

Andreas Ren stellt mit seinen umfangreichen Fotoserien öffentlichen und privaten Raum vor: absurd, skurril, grotesk und real zugleich. Seine Fotos zeigen funktionale, imaginäre und originäre Raumvorstellungen von öffentlichen Lebensbereichen, Schauplätzen des Alltags und bekannten Lebenswelten. Die Fotoserien mit den Titeln „reibungslos…“ und „urban spaces“

aus dem Jahr 2001 zeigen makellose und funktional wirkende Räume. Man gewinnt den Eindruck, dass diese einwandfreien Interieurs ohne Menschen auszukommen scheinen. Wo ist der Mensch in diesen Räumen?  Die vertrauten Begebenheiten oder Plätze von 

„reibungslos…“ und die verlassenen Räume von „urban spaces“ sind formschöne Zeugnisse einer doch unzulänglichen Welt und einer Wirklichkeit, an der wir scheinbar nicht rütteln können. Schon lange begegnen wir solchen Räumen, deren Charakter zwischen Sterilität und Normalität  anzusiedeln ist und die das Bild unserer gegenwärtigen gesellschaftlichen Befindlichkeit spiegeln. Andreas Ren fotografiert diese Raumkonstrukte, in der Realität auffindbar, sowie Raumobjekte, um den Blick für funktionale Formgebung zu schärfen. Die Wirkung dieser Aufnahmen bewegt sich zwischen Abbildung und Manipulation von  Realität, ohne Erinnerung an menschliche Erlebniswelten.

 „Der Raum, in dem wir leben, durch den wir aus uns herausgezogen werden, in dem sich die Erosion unseres Lebens, unserer Zeit und unserer Geschichte abspielt, dieser Raum, der uns zernagt und auswäscht, ist selber auch ein heterogener Raum.

Anders gesagt: Wir leben in einer Leere, innerhalb derer man Individuen und Dinge einfach situieren kann. Wir leben nicht innerhalb einer Leere, die nachträglich mit bunten Farben eingefärbt wird. Wir leben innerhalb einer Gemengelage von Beziehungen, die Platzierungen definieren, die  nicht aufeinander zurückzuführen und nicht miteinander zu vereinen sind.“ (Michel Foucault: „Andere Räume“, in: Barck / Gente / Paris / Richter (Hg.): „Aisthesis“, Leipzig 1990, S. 38) 

Obwohl die Serie „places“ aus den Jahren 2003 und 2007 zwar ebenfalls funktionale Raumbegebenheiten zeigen, eröffnen die Fotos jedoch den Blick auf einen imaginierten Raum. Aufnahmen von öffentlichen Räumen wie Parkhaus, Spielplatz, ein Schnellimbiss, die Wartehalle eines Busbahnhofs, eine Krippendarstellung mit dem Titel „Fußballflicker“ sowie von einem Rettichfest in Mexiko gewähren Raum für ein ästhetisches Gedankenspiel zwischen Imagination und Realität.  So handelt es sich bei „Schnellimbiss II“ um die Fotografie des Innenraums einer mexikanischen Imbissstube. Oberhalb des Tisches präsentiert sich an einer Wand eine Art Raritätenkabinett: zahlreiche christliche Ikonendarstellungen in Goldrahmen überschneiden sich, zwei Paar Kinderschuhe hängen an Schnürsenkeln herunter, dazu finden sich ein Stück Werbetafel, ein abgestellter Teller und drei türkisfarbene Blüten auf weißem Grund.

Diese Objekte könnten Souvenirs einer Pilgertour sein, denn neben den christlichen Motiven reihen sich Opfergaben. Ein solches Arrangement lässt Raum für Interpretationen, Ideen, Visionen, Wünsche, Hoffnungen. Es mag den Betrachter an einen Votivschrein erinnern, an einen privaten Wandaltar, der sich, groteskerweise, in einem profanen Raum irgendwo in Mexiko befindet.  

Auch das Bild „Fußballflicker“ entstand im Jahre 2003  in Mexiko und zeigt, wie die „Imbissstube“, ebenfalls Merkmale eines privaten, aber auch öffentlich begehbaren Raumes. Zu dem Vorraum führt keine Tür, der Einstieg ist eine Öffnung im Boden. Betonstufen leiten hinunter in den ungedeckten, weihnachtlich gestimmten Vorraum, in dem sich auf der linken Seite eine illuminierte Krippe befindet. Eine blaue Holzlatte lehnt schräg an der Wand neben der Durchreiche.

Im rechten Teil der Aufnahme wird ein Flur sichtbar, der offensichtlich zu privaten Wohnbereichen des Hauses führt. Der Betrachter wird durch die Fragen irritiert, ob es sich bei dem Vorraum mit seinem freien Zugang um einen öffentlichen, für jeden begehbaren Raum handelt, und ob er hinter dem Durchgangsflur Einsicht in die Privatsphäre nimmt. Bei dieser Kreuzung von Privatem und Öffentlichem wird die Erkenntnis erweckt, dass im Kulturraum Mexiko andere soziale Strukturen herrschen als in der europäischen Zivilgesellschaft. Genau dieser Kontrast wird in der Fotoserie dokumentiert.  

Im Gegensatz zu den Fotos aus den Serien „reibunslos…“ und „urban spaces“ zeigen die Aufnahmen der Serie „places“ zwar auch keine Menschen, doch manifestiert sich in den Spuren menschlichen Lebens die Privatheit der Räume. Nicht die Kühle einer hermetischen Abgeschlossenheit steht im Vordergrund, sondern eine persönliche, vielleicht gar intime Qualität des Ambientes.  Durch die besondere, fast malerisch wirkende Farbintensität erzeugen diese Fotos, die in Mexiko und Marokko entstanden sind, einen ästhetisch spielerischen und flexiblen Wahrnehmungsraum.

Diese Serie scheint die Vorstellung des Betrachters von Räumen zu verändern, die Räume wirken hier offener. Sie sind weniger durch Funktionen und Nutzungen festgelegt, wodurch deren authentische Erfahrbarkeit in den Mittelpunkt gestellt wird. Der Betrachter kann sich assoziativ einlassen, improvisieren, auch variieren. Das Potential räumlicher Erfahrung findet sich auch in der Werkgruppe „landscapes“ wieder. Der Blick auf das Meer oder auf einen Gletscher transformiert Raum zum Medium der Empfindung, eine nach Gaston Bachelard wieder zu entdeckende „Poetik des Raums“, ein Raum, der erlebt wird. Die Naturaufnahmen aus der Serie „landscapes“ zeigen eine aus der Erinnerung stetig neu zu schöpfende Atmosphäre.

Im Gegensatz zu den rein funktional gestalteten Räumen erfährt der Betrachter mit diesen Bildern eine zunehmende Raumsensibilisierung, die originär und imaginativ wirkt.

Zu den Bildern
landscapes
ocean
places
urban spaces
reibungslos