von Pablo Hagemeyer –
Der Fotograf Andreas Ren hält in seiner Ausstellung „ANATOMIE, Transformation eines Subjekts“ fest, wie sich der menschliche Körper im Dienst der Wissenschaft auflöst.
Es ist kalt. Die hellen Kacheln in der Anatomie der Uni Bochum reflektieren grelles Neonlicht. Im großen Saal liegen auf zwanzig Stahlblechen die Leichen für dieses Semester. Zwischen den Präparationstischen bewegt sich Andreas Ren und richtet das Objektiv seiner Fotokamera auf die Toten. Es ist eine einzigartige Gelegenheit, den Prozess der Wandlung menschlicher Körper unter dem Einwirken gelehrsamer Stundentenhände zu dokumentieren.
Andreas Ren beschäftigt sich seit 1990 mit der Fotografie und arbeitet seit seinem Photodesignstudium professionell als freier Fotograf für verschiedene Auftraggeber und Institute in ganz Deutschland. Mit dem Institut für Pathologie der Universität Bochum besteht bereits eine langjährige Arbeitsbeziehung. Den Impuls für die aktuelle Ausstellung bekam er durch den ständigen Kontakt mit der Abwicklung des Todes. Verstorbene Patienten, Versicherungsfälle, Operationskomplikationen mit tödlichem Ausgang. Durch den engen Kontakt zum Institut für Pathologie stellte sich der Kontakt zum Anatomischen Institut der Ruhr Universität her. Nach langen Gesprächen mit dem Anatomie Professor konnte Andreas Ren mit seiner Idee überzeugen den Präparationskurs fotografisch zu Begleiten.
Nicht die effekthascherischer Darstellung sondern eine sensible Annäherung und Respekt an das Thema gaben dann den Zuschlag.
Ren ist der erste Fotograf der diesen Prozeß abgesehen von wissenschaftlichen Dokumentationen fotografisch festhält. Dieser Studie begann 1996 und dauerte über ein Jahr.
Am Ende passen wir alle in eine kleine Box
Die in der aktuellen Schau abgelichteten Körper sind Spenden an das Institut für Anatomie. Die Körper werden unmittelbar nach dem Tod mit Formaldehyd perfundiert. Mehrere Liter des scharf riechenden Konservierungsmittels ersetzen das Blut im Körper, fließen in jede Ader. Die Körper sind durch diese Konservierung vor einer zu raschen Autolyse geschützt. So können die Studenten ein ganzes Semester lang im gekühlten großen Saal der Anatomie arbeiten. Jedes Sommersemester freuen sich hunderte Medizinstudenten auf diesen einen kühlen Raum. Sie treffen hier auf einen ihrer wertvollsten Mitarbeiter, den sie auf der letzten Etappe am Ende des Lebens begleiten werden. Jeder Student nimmt sich einer Körperpartie an und beginnt zu präparieren. Bis zu zehn Studenten teilen sich eine Leiche. Nach den Regeln anatomischer Kunst wird die Haut mit Skalpellen eröffnet und anhand des Anatomieatlas studiert. Die Körper sind kalt. Das Unterhautgewebe fest. Mit einem Tuch decken einige der Studenten das Gesicht der Toten ab. Aus Pietät. Um Distanz zu schaffen. Die abpräparierten Schichten werden in einer kleinen Box gesammelt. Schicht für Schicht wird das Fett abgetragen und die Muskeln freigelegt. Dann werden die Muskeln abgesetzt und die Knochen dargestellt. Am Ende des Semesters bleibt von dem Körper ein Berg kleiner Schnipsel und Stücke. Sie passen alle in die kleine Box am Fuße des Tisches.
Memento Mori – bedenke, dass du sterblich bist
Die Serie des anatomisch untersuchten Todes, die Transformation eines Körpers bis zur Unkenntlichkeit, wurde Andreas Rens Thema. Dabei führt der 38igjährige Bochumer seine Linse mit Distanz. Es entsteht ein heiliger Raum in der Betrachtung der Toten. Eine Betrachtungsweise, die nicht entweiht und die nicht beschämt. Ren bedient sich hierfür der schwarz-weißen Fotografie. Edelstahl glänzt wie Graphit. Das scharfe Organmesser ruht wie im Mondschein auf dem Tisch und wartet. Der Raum ist mit Licht und Stille gefüllt. Die Grenzen der Körper lösen sich langsam auf und gehen Bild für Bild in die graue Umgebung der Kühlboxen und Stahlflächen über. Es geschieht nichts. Es ist kein Student zu sehen. Der Raum ist verwaist. Und in einer Ecke erkennen wir einen Rest, einen Teil, der uns an die Vergänglichkeit des Lebens erinnert. Ein grauer Torso, eine alte Hand, eine haarlose Kopfschwarte. Die Idee des Memento Mori greift Ren auf. Bedenke, dass du sterblich bist. Die Auseinandersetzung mit dem Tod gelingt. Wenn Ren seine Geschichte erzählt, dann erzählt er sie langsam und leise. Unmerklich überspringt er wie ein Regisseur alter Stummfilme moderne Aufgeregtheiten. Er bedient nicht die hektische Dramaturgie eines Gunther von Hagens mit seinen theatralischen Körperwelten oder gerät nicht ins Fahrwasser misslungener Experimente, wie bei dem zurzeit teuersten lebenden bildenden Künstler Damien Hirst. Dessen Skulptur, ein 1991 in Formalin eingelegter Haifisch, löst sich zurzeit auf und bereitet der Kunstwelt Kopfzerbrechen, ob des dramatischen Wertverlustes dieser verwesenden und mit neun Millionen Euro sehr hoch dotierten Skulptur.
Das kann Andreas Ren nicht passieren. Die Körper, die ihm Modell standen, sind längst beerdigt und verrottet. Die Fotografien bleiben. Andreas Ren hat die Abbildungen seiner Transformationen auf eine begrenzte Anzahl sammelfähiger Schwarz/Weiß FineArt-Inkjet Prints auf 4mm Alu Dibond aufziehen lassen, die Arbeit umfasst 10 Bilder a´ 100x150cm und 17 Bilder 60x90cm. Er stellt sein Werk, gefördert durch namhafte Professoren, Ärzte, Hersteller, Architekten, Filmproduktionen und der Stadt Bochum, ab dem 09. September 2006 in Bochums Galerie für Gegenwartskunst Max7aus. So bleibt bis Mitte Oktober für jedermann sichtbar, was nie für das Archiv bestimmt war.
Der Abbau des Körpers
In dieser Ausstellung wird Kunst mit der Hilfe des Todes hergestellt. Ren zeigt die Interaktion zwischen der leblosen Materie, die Beweglichkeit und Körperlichkeit nachspüren lässt. Wir erkennen den maskenhaften Ausdruck eines Gesichts, das in einem Beet von Hautstückchen gebettet ist. Ein Arm der nichts mehr greifen kann, abgenagt, wie ein dürrer Ast. Es ist nichts hiervon in Szene gesetzt. So sieht es aus, wenn Studenten arbeiten. Studenten und Betrachter werden durch diesen Prozess an eine besondere Erkenntnis herangeführt und an unverrückbare Naturgesetze erinnert.
Zu verstehen, dass das Leben ein unglaubliches Geschenk ist, was durch den menschlichen Verstand zwar erkannt, aber in seiner Komplexität nicht verstanden wird. Es geht in dieser Ausstellung um die Demontage der körperlichen Architektur und um die Demontage der Oberflächlichkeiten. In Teilen erkennen wir Formen wieder, doch der Prozess der Verwandlung schreitet voran, bis Gewohntes abstrakt erscheint und die alltägliche Nähe des eigenen Körpers durch den Anblick der Bilder der Realität entrückt. Gemeinsam mit dem Fotografen lernen wir, die Spuren des systematischen Abbaus der Körper zu lesen. Wir erahnen vielleicht den Architekten hinter dem Werk, der diese Skulptur als Grundlage unserer Existenz geschaffen hat. Aber wir begreifen nur Teile. Diese Schau ist ein aufregender und zugleich mystischer und versöhnlicher Ort geworden.
Andreas Ren, der auch urbane Orte/Räume meist bei Nacht in viele Länder auf dieser Welt fotografiert und der Entleerung des öffentlichen Raums nachspürt,, wird bald wieder auf Reisen gehen. Auf der Suche nach einer Geschichte, die sich in Bilder zu erzählen lohnt.